25
Okt

Von Biopiraten und 40 Krankheiten

nt_1Der Niem-Baum ist einer, den viele gerne in ihrem alleinigen Besitz wüssten. Sein suahelischer Name „Mwarobaini“ drückt passenderweise aus, dass er 40 Krankheiten zu heilen vermag. Eine Zahl, die heute sogar für eine Unterschätzung gehalten wird. Genau deshalb versuchen auch schon seit Jahrzehnten verschiedene Firmen, Patente auf einzelne Niem-Produkte zu bekommen. So geschehen im Jahr 1995, als ein multinationales Unternehmen vom Europäischen Patentamt das Patentrecht auf ein Biopestizid mit Niem-Basis erhielt. Ein starker Anstieg des Preises für Niemsamen in Indien war die Folge, woraufhin kleinere Unternehmen und KleinbäuerInnen nicht mehr über die Mittel verfügten, die Samen zu kaufen. Nach Jahren der Streitigkeiten vor Gericht erhielt die indische Regierung 2005 aber Recht, dass die fungizide Wirkung von Niem schon seit Jahrhunderten traditionell in der indischen Landwirtschaft und Medizin bekannt ist und eingesetzt wird und deshalb als intellektuelles Eigentum des Subkontinents anzusehen sei (BBC). Dieser Art von Biopiraterie, also der unrechtmässigen „Aneignung von genetischen Ressourcen und traditionellem Wissen“ (Human Rights), wurde durch diesen Entscheid Einhalt geboten, zumindest in diesem Fall.

Dieses traditionelle Wissen, das über Jahrhunderte und mehrere Generationen 54774-img_weitergegeben wurde, gilt es nicht nur von kommerziellen Interessen, sondern auch vor dem Vergessen durch die lokale Bevölkerung zu bewahren und zwar aus folgenden Gründen: Die Bestandteile des Niem-Baumes können nämlich zahlreiche hygienische, medizinische sowie schädlingsbekämpfende industrielle und häufig kostspielige Mittel ersetzen. Der Niem-Baum ist hitzeresistent, benötigt nur wenig Wasser und wächst schnell, was ihn ideal für den Anbau unter anderem in Tansania macht. Zudem können nicht nur die Blätter, sondern auch die Samen und das Holz verwendet werden. Die Blätter kommen z.B. bei der Behandlung von Malaria zum Einsatz, indem ungefähr 40 solcher Blätter mit einem Liter Wasser aufgekocht werden und dieser Tee im Verlaufe des Tages getrunken wird. Da Niem-Produkte bei verlängerter Anwendung aber z.B. Leberschäden hervorrufen können, ist vor allem bei innerlicher Anwendung Vorsicht geboten (NRC).

Deren toxische Wirkung offenbart sich beim Einsatz in der Landwirtschaft, wo die getrockneten und zerstampften Samen mit Wasser vermischt als Insektizid verwendet werden. Deren Wirkung unterscheidet sich allerdings in einem Punkt von synthetischen Insektiziden, die üblicherweise den Tod des Insekts zur Folge haben. Niemöl und auch Niemblätter sorgen dafür, dass Insekten im Entwicklungsstadium in ihrem Wachstum gehindert werden und sich nicht fortpflanzen können. Vor- und Nachteil zugleich ist der Umstand, dass die Niemprodukte in der Natur nicht persistent sind. Deshalb ist es wichtig, dass sie schon zu Beginn der Wachstumsphase eingesetzt und wiederholt angewendet werden (IPMP). neemleafIm SAT-Standard für biologische Pflanzenschutzmittel werden die getrockneten und pulverisierten Blätter des Niembaumes zudem mit weiteren natürlichen Abwehrmitteln vermischt, so z.B. Knoblauch und Chili, welche die Insekten durch ihren scharfen Geschmack fernhalten. Niemprodukte als Insektizid entsprechen somit sehr genau dem Charakter von Biolandwirtschaft: Arbeitsintensiv, aber umweltschoned und viabel für KleinbäuerInnen. Neben dem Einsatz für die Gesundheit von Pflanzen weisen Niemprodukte auch für den Menschen positive Effekte auf. Da Niem unter anderem antidiabetische, antivirale und antibiotische Effekte hat, werden in der ayurvedischen Medizin getrocknete Blätter und das Öl für die Behandlung von zahlreichen Hautkrankheiten eingesetzt und die jungen Zweige des Baumes für die Mundhygiene verwendet (Hirt 2001).

In einem Land wie Tansania, wo Niembäume sich einerseits klimatisch sehr wohl fühlen und andererseits auch für KleinbäuerInnen mit gerechtfertigtem Aufwand verbunden sind, lohnt sich deren Anpflanzung stark. Umso wichtiger ist es aber auch, dass das traditionelle Wissen um die zahlreichen Wirkungen in den Händen der Bevölkerung bleibt und diesen nicht durch Patente entzogen wird.

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Dieser Artikel ist Teil einer Serie über Ernährungsfragen im Zusammenhang mit Nachhaltigkeit und der von SAT geleisteten Arbeit, geschrieben von Karin Augsburger, einer Volontärin bei SAT.

Referenzen:

BBC News, http://news.bbc.co.uk/2/hi/science/nature/4333627.stm, 27.07.2016.

Humanrights.ch, Traditionelles Wissen – Genetische Ressourcen – Biopiraterie, http://www.humanrights.ch/de/menschenrechte-themen/wto/trips/traditionelles-wissen/, 27.07.2016.

Integrated Pest Management Program (IPMP), http://ipm.uconn.edu/documents/raw2/Neem%20Based%20Insecticides/Neem%20Based%20Insecticides.php?aid=152, 27.07.2016.

Hirt Hans Martin und Bindanda M’Pia, Natural Medicine in the Tropics, Winnenden 2001.

National Research Council (NRC), Neem: A Tree for Solving Global Problems, http://www.ncbi.nlm.nih.gov/books/NBK234637/, 27.07.2016.

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